Stefan Tolksdorf Lexikon der Gegenwartskunst |

   

Stefan Tolksdorf Lexikon der Gegenwartskunst

 

„Kunst passiert, wenn klare Zuordnung unterlaufen wird"

 

Es ist diese geschickt inszenierte Indifferenz, die Hasslingers körperähnlichen Gewebe aus tönernder Spitze, Masche und glänzendem Lack zu suggestiven Blickfallen macht - ihr Dauerchangieren zwischen Ekel, Neugier und Faszination.

Obskure Zwitter aus Natur- und Alltagsdingen stellt der Künstler unseren Sehgewohnheiten entgegen, „Wesen“, die aus jedem Begriffsraster kippen, sich jeder begrifflichen Verortung entziehen.

Da stehen, liegen oder hängen sie - filigran gebauschte Netzfiguren,  an erotische Netzstrümpfe erinnernd, broschenähnliche Objekte,  Gestalten ganz nah am Damenschuh – hochhackigen Pumps und graziösen Sandaletten - neben Seelilienhaften Geschöpfen, die ihre Wurmöffnungen graziös gen Himmel strecken, submarines Gekröse, das sich aus seltsamen Bandagen zu befreien sucht oder mit ihnen untrennbar verwächst. Wesen oder Ding, Haut oder Draperie? - das ist nicht auszumachen, denn der

Disparatheit der Teile entspricht die Homogenität des Materials, - als wären die verflüssigten Dinge in neuen Formen erhärtet, für die es noch keine Begriffe gibt.

Dem ersten, organischen Eindruck widerspricht jedoch einiges, zuforderst die matt glänzende Lackfarbe, die einzelnen Teilen das Ansehen von Armaturen und Schmuckstücken verleiht.

Der Metallglanz ist nicht der eines Chitinpanzers sondern eines maschinell gefertigten oder eines kunsthandwerklichen Artefakts. Dennoch suggerieren viele von Hasslingers Figuren  geheimes Eigenleben.      

Jede seiner Hybriden spielt ein kurioses Spiel mit Innen- und Außenraum, Ver- und Entbergen, sinnlicher Lockung und kühler Distanz, - und diese konstante Spannung versteht der Künstler meisterhaft zu inszenieren.

Der Künstler bringt die Dinge zum Reden, doch ihr Dialog mündet in babylonische Sprachverwirrung;  ihr Code bleibt unentschlüsselbar.

Die Ordnung der Sprache wird außer Kraft gesetzt oder stößt an ihre Grenzen. Ein Fragezeichen steht vor jede mögliche Benennung. Das vorsprachliche Schauen und Staunen wieder in seib Recht zu setzen – ist dies nicht eine originäre Aufgabe der Kunst! Hasslingers indifferente Tongestalten – anfangs noch stark von organischen Formen geprägt, scheinen an Komplexität noch zu gewinnen, je stärker sie sich wie neuerdings vom Körperlichen entfernen - Dinge wie aus fremden Galaxien, am Bekanntheitsgefühl unmerklich schrammend.

Obzwar Produkte der Konsumwelt scheinen sie des Menschen nicht zu bedürfen. Wir lassen sie kalt.

Dem Sog ihrer Fremdheit aber vermag kein Betrachter zu entgehen.

„Ein Netz zu konstruieren, aus dem der Blick nicht mehr hinaus findet…“- dies ist die Absicht des Künstlers.

Leicht verfänglich, besser: von doppelbödiger Ironie sind auch die Titel seiner Arbeiten: „Dresscode“ heißt etwa eine  Werkserie – ein Verweis auf die Haute Couture und ihre sozialen Ausschlusskriterien. Doch steckt im „Code“ auch das Enigma, der Verweis auf ein möglicherweise verborgenes Wesen der Dinge.

Hasslinger belässt es bei wenigen Durch- und Einblicken, doch die Hülle scheint bei ihm nichts Wesentliches zu bemänteln, vielmehr selbst schon das ein und Alles zu sein. Die Fragilität seiner

 

 

Figuren ist die transparenter Quallen, Wesen, die nichts verbergen und doch von undurchdringlicher Fremdheit sind.

„Die Ambivalenz beschäftigt mich, seitdem ich mit Ton arbeite, das Hin- und Herpendeln zwischen Formverlust (nichts anderes bedeutet Ekel), und Formbeherrschung, dem Eingehen auf die Weichheit des Materials und dem Entgegensetzen formaler Mittel.“ [1]

 

 

Die Faszination des Materials

 

Was treibt einen Bildhauer, der sich vornimmt, aus einem der ältesten Werkstoffe der Menschheit etwas grundsätzlich Neues zu schaffen?  Bei Stephan Hasslinger war es zunächst die Faszination des Materials, dieses elementaren, mit Händen knetbaren, zunächst geschmeidigen, dann zur Steinhärte erstarrenden, archaischen Werkstoffes Ton.

Sein zweiter Impuls war die Suche nach der Linie.

Sie führte ihn zuerst zur Anatomie: Nervenfasern und Muskelbündeln - seine erste motivische Inspiration.

Ohne die Kenntnis der menschlichen Physis ließe sich keine Kunstfigur schaffen, erklärt er, was überrascht, denn die menschliche Figur kommt als solche in Hasslingers Werk  nicht vor. Doch wer weiß, vielleicht sind seine amorphen, in sich ruhenden oder bis auf 2,50 Meter aufragenden Keramikgestalten ja nichts anderes als Platzhalter des Menschen, Chiffren seiner prinzipiellen Unfertigkeit und permanenten Patchworkexistenz, Metaphern eines Möglichkeitsinns, der sich in Formexperimenten und Gestaltverwandlungen stets aufs neue seiner treibenden Kraft versichert: Der schöpferischen Phantasie.

Doch erzählen sie auch von der Suche nach Schutz und Geborgenheit im Gehäuse.

Architekt hat er einmal werden wollen, die Freude am Bauen ist geblieben: „Die Ummantelung eines Hohlkörpers, das Aufmauern einer Wand aus Walzen und Wülsten, die Konstruktion eines tragenden Gerüstes - ist das nicht Architektur im Kleinen?“

Auch an „Bauskizzen“ fehlt es nicht: übermalte Fotografien, Zeichnungen, Materialcollagen, die auf Hasslingers   Ausstellungsbühnen selbständige Rollen spielen.

„Zünder“ nennt er sie  und subsumiert unter diesen Begriff  auch jene banalen Dinge des Alltags, die seine Kombinationslust entflammen: Teesiebe, Föhnaufsätze, Kellen, Tücher, Damenschuhe, Eishockeymasken, Baseballhandschuhe…. 

Der Inspiration durch solche Obejets trouvés folgt das Verfahren der Montage: Einzelteile werden analog zu den motivischen Vorlagen geformt, gebrannt und vor Ort zusammengesetzt.

Konstruktiv architektonisch ist die Basis seiner Arbeit, wenn er mit einem komplexen Strebewerk zunächst das „Knochengerüst“ für seine fragilen Figuren formt, um das er,  in Wülsten und Scheiben, den „Fleischmantel“ legtDie Analogie zum klassischen Skelettbau drängt sich förmlich auf, doch könnte man auch an das Bekleiden einer drahtigen Schneiderpuppe denken.

 

 

 

Das traditionelle Repertoire des Keramikers, das plastische Stillleben: handschmeichlerische Schüsseln, Krügen und Kannen in meist naturnaher Gestalt,  hat Stephan Hasslinger nie interessiert. Er wollte etwas schaffen, für das es allenfalls handwerkliche Parameter gibt: Neues aus Tonerde.

Kann das mehr als bloße Analogiebildung bedeuten?

Schuf doch auch der alttestamentarische Schöpfer den ersten Menschen aus Erdenschlamm nach seinem Bilde.

Hasslinger hat sich für das freie Spiel der kombinatorischen Phantasie entschieden, für das Irritationspotential des vermeintlich Inkommensurablen, kurz: den surrealistischen Ansatz. Luftig sollten seine Skulpturen sein, fern jedes Pathos und der Wucht des Volumens 

Vom harten zum weichen Material führte ihn seine lange Suche nach der plastisch formbaren, variablen Linie im Verbund mit der organisch wachsenden Form, - vom sperrigen Vierkant- und Rundstahl zur Tonerde. Ein Bruch nur auf den ersten Blick: „Meine Erfahrungen im Studium mit dem raumzeichnerischen Arbeiten in Stahl hat zu meiner Gestaltung in Ton maßgeblich beigetragen. Durch das Verbiegen und Konstruieren von Stahlrohren und deren Zusammenschweißen zu raumzeichnerischen luftigen Gesten und Zeichen hatte ich mir eine Montagemethode angeeignet, die ich in das Arbeiten mit Tonsträngen übernehmen konnte.“

Nach dem Abitur hatte Hasslinger eine Steinmetzlehre begonnen, alsdann in Bremen und Berlin Kunst studiert, unter anderem bei Lothar Fischer und David Avison, dessen Meisterschüler er wurde.

Ulrich Rückriem hätte den Begabten Steinbildner gern als Mitarbeiter gewonnen. Hasslinger aber, im Banne der angelsächsische Kunst, insbesondere des abstrakten Expressionismus („Ich liebe Jackson Pollock“)  zog es eher zur raumgraphischen Geste.

Daneben übernahm er Kunst-am-Bau-Aufgaben und betätigte sich erfolgreich als Restaurator. Auch die minutiös kopierte Winter-Figur des Barockbildhauer Christian Wentzinger  passte ins Konzept der körperlichen Linie.

Das ihm gemäße Material hatte Hasslinger aber noch nicht gefunden, als er  1993 ein Werkstipendium am European Ceramic Work Center in S´Hertogenbosch begann.            

Die Heimat des phantastischen Malers Hieronymus Bosch ist von jeher auch ein Zentrum der Keramikproduktion,

doch hatte auch der Stahlbildner zunächst gegen das Vorurteil anzukämpfen, Ton tauge allenfalls fürs solide Kunsthandwerk.

Welch enorme Gestaltungsmöglichkeiten diesem „geradezu malerischen“  Werkstoff innewohnen, erfuhr er erst nach unzähligen Formexperimenten.

Heute später zeigt er sich noch immer begeistert von der Sinnlichkeit und Flexibilität, den unterschiedliche „Aggregatzuständen“ seines Materials, das er manuell anrührt, rollt und knetet, in Wülsten aufmauert, um das Produkt am Ende möglicherweise noch mit der Flex zu behandeln. Auch schätzt er es, dass er zur Montage der Einzelteile keinen „Fremdkörper“ und keine Gerätschaften braucht, sondern nichts anderes als Tonschlicker.

 

 

 

 

 

 

Die Lust am Ornament

 

Adolf Loos Polemik „Ornament und Verbrechen“ von 1908 liest Hasslinger heute mit Amüsement. Längst hat die Kunstwissenschaft, auch im Zeichen der Postmoderne, die alte Frontstellung entschärft und dem Ornament ein hohes Innovationspotential gerade auch für die Entwicklung der neuen Kunst zugebilligt.

Sicher, eine erklärte Liebe zur Geometrie, eine Feier des rechten Winkels und der klaren Fläche findet sich bei Stephan Hasslinger nicht. Seine Leidenschaft fürs Ornamentale indes als antimodernistisches Statement, gar als Bekenntnis zur barocken Füllfreude zu deuten, führt zu weit.

Schließlich sind gerade seine neueren Schöpfungen von einer Strenge und formalen Geschlossenheit, die keine prinzipielle Gegnerschaft bedeuten kann.

Eher demonstriert sich hier eine künstlerische Phantasie, die formalistischen Dogmen ebenso misstraut, wie Opulenz als Selbstzweck. Worauf es Hasslinger ankommt: ein ebenso originäres wie originelles Werk zu schaffen, das die klassische Rolle des Betrachters infrage stellt. 

Das Beharren auf dem klassischen Werkbegriff, der   Autonomie des Kunstwerks, entspricht dabei durchaus einem gewissen Konservatismus des Künstler-Handwerkers.

Doch genau aus ihrer, wie selbstverständlich ein genommenen Sonderstellung auch innerhalb des gegenwärtigen Kunstbetriebs  beziehen Hasslingers Skulpturen ja ihre  spezifische Irritationskraft.

Und spricht es nicht unbedingt für ihre Qualität, dass sich vordergründige Analogien etwa zum Jugendstildekor prinzipiell verbieten du zugleich die ganze Geschichte des Ornaments quasi en passant mitgeliefert wird?              

Hasslingers wichtigster Bezugsrahmen ist ganz offensichtlich die Mode. Fühlte er sich zunächst von der organischen Welt motivisch angeregt, bot ihm die Bekleidungsindustrie bald die weitaus stärkeren Impulse.

Fast zwangsläufig trieb es ihn ins textile Terrain, auf der Suche nach Gebilden, „welche die Linie tragen“.

Hinzu kam seine Vorliebe für Stoffe.

War es möglich, die fließende Bewegung einer Seidenbluse, die taktile Struktur einer Damenstrumpfhose oder einer Spitzenmanschette ins gebrannte Material zu transformieren, das Weiche ins Harte zu verwandeln, ohne dass die sinnliche Anmutung dieser Motive verloren ginge?

 Die Porzellankunst des 18. Jahrhunderts hat das Bedürfnis mit verblüffenden plastischen Trompe l´oeils schon kongenial bedient, mit der Imitation zartester Faltenwürfe, funkelnder Preziosen und appetitlicher Speisen.

Eben diesen Wiederkennungseffekt will Hasslinger jedoch nicht, ihn vielmehr – mit maximaler Materialsinnlichkeit – subversiv unterlaufen. 

Dutzende Modemagazine hat er durchblättert, hunderte Kleidungsstücke und Acessoirs fotokopiert, ausgeschnitten und abgezeichnet. Dabei interessierten ihn anfangs nur die traditionellen Muster und ganz unspektakuläre Motive. Entscheidend bei der Motivsuche sind die Struktur des Gewebes und die plastischen Qualitäten des Kleidungsstücks:

Brauchte es einen stützenden Körper, oder formte es von selber Volumen? Handschuhe und Stiefeletten, Bustiers, Korsagen und Spitzenbüstenhalter bedecken seinen Zeichentisch, gruppieren sich zu grotesken Assemblagen.

Die Mode – selbst schon eine Kunst –  in ein anderes Medium zu überführen,  Kleider in Körper zu verwandeln, ihnen dabei geheimnisvolles Eigenleben einzuhauchen, dieses Projekt ist noch  immer verführerisch, auch wenn sich Hasslingers Plastik heute in stärkerem Maße am Industriedesign orientiert.

Der Fetischcharakter der Haute Couture wird in seiner Keramik dadurch ad absurdum geführt, als Kleidungsstücke, Schmuck und Acessoirs keinen Körper mehr schmücken,  sondern – ihrer dienenden Funktion vollends verlustig – zu Objekten eigener Ordnung mutiert sind.

Im wahrsten Sinne sind sie – ob Ding, ob Wesen – untragbar.             

Noch wichtiger als die geglückte Imitation ist dabei die motivische Verfremdung. Durch Fragmentierung, Streckung, Dehnung, Beschneidung der Vorlage und eine zum Teil erhebliche Vergrößerung des Details entstehen – häufig aus Materialcollagen – Objekte, die sich jedem Begriffskatalog konsequent verweigern, Skulpturen, deren Fertigstellung sich über Wochen und Monate hinziehen kann, und Hasslinger weiß: sie besitzen materielles Eigenleben.

Noch im Rohzustand kann sich der Ton verselbständigen, doch die größten Risiken liegen im Brennvorgang. Netzraster können beim Erhitzen auf  950 Grad bersten, Flächen unerwartet sich auswölben. Unvorhergesehenes bestimmt den Dialog zwischen Idee und Material, Abweichungen, die entweder integrierbar sind oder die Zerstörung der gesamten Arbeit nach sich ziehen. Doch vor der Glasur und dem zweiten Brand ist noch die Rückführung möglich, kann Erde wieder zu Erde werden.

 

 

Die Lockungen der Farbe

 

Neben der Kontrastierung unterschiedlicher Texturen – Flächen und Geweben, rauen und glatten Oberflächen -

trägt die disparate Farbwahl maßgeblich zur Irritationswirkung bei. Wie hängt eine rot metallisch glänzende Fläche mit den konditorenhaft cremfarbenen Makrogeweben zusammen und warum hat der Künstler eine so offensichtliche Vorliebe für modische Pastelltöne, die wir am ehesten im  Badezimmer vermuten?

„Die Frage, warum seine Farben in Cremige tendiere, beantwortet der Künstler mit der Feststellung, dass reine Farben dem Organischen widersprechen würden. Farbe habe sich dem Formalen unterzuordnen. Geometrische Formen halten seiner Meinung nach der Härte der primären Farben stand, nicht so seine keramische körperhafte Arbeit, bei der er solche Töne als zu laut empfände. Nach dem Glasurbrand verwendet der Künstler manchmal auch Lackfarbe, um damit Farbkorrekturen zu erzeugen. Farbe ist für ihn materielle Umhüllung, die der dem Ton anhaftende Natürlichkeit einen Gegenpart entgegenstellt. Die hochglänzenden, mit dem Lack dicht versiegelten Skulpturenteile wirken bisweilen wie aus Kunststoff“[2]

 Wie die filigranen Maschen und Netze dem Eindruck von Schwere entgegen wirken, soll auch die Farbe über die  Erdverbundenheit des Materials hinweg täuschen.

Es macht Stephan Hasslinger ganz einfach Spaß, eine Tonplatte mit einer Glasur aus in Harz gelöstem Platin oder Goldpartikeln über überziehen, die bei 700 Grad im Ofen erhärtet. Ein Stück glänzendes Metall meint man dann in Händen zu halten, den Kühlerrost eines 50er-Jahe-Chevrolets etwa,  aufs Miniaturformat geschrumpft, der nun in die Halterung eines Armaturenbretts passt. Doch wer errät schon die wahre Herkunft der transformierten Teile?

Subversiv sind diese Hybriden, schon deshalb, weil sie letztlich auf nichts als auf sich selbst verweisen.

Doch machen sie ihre gerundeten Formen und glänzenden Oberflächen auf subtile Weise attraktiv.

Selbst auf das Inkommensurable fällt noch ein Schimmer der schönen neuen Warenwelt.

Der schöne Schein  auf saftig roten und biskuitfarbenen, wie von Zuckerguß modellierten Objekten weckt nicht selten sogar kulinarische Appetitlichkeit, lässt an raffiniertes Backwerk denken, an Sahnespeisen und exzentrische Eiskreationen.

Hinzu treten unvermittelt auch erotische Konnotationen, Halbseidenes, Unbestimmtes aus den Verlockungsszenarien der Rotlichtwelt. Bei diesem durch optische Primärreize vielfältig ausgelöstem Begehren  spielt der Appetizer Farbe die Hauptrolle. Ebenso kann sie aber – manchmal im selben Objekt Unnahbarkeit signalisieren. Diese koloristisch transportierte Ambiguität, dieses spannungsreiche Wechselspiel von Verlockung und Distanz ist fast jedem von Hasslingers Objekten zueigen.

 

 

Arrangeur und Neo-Surrealist

 

Die Interaktion seiner Skulpturen am Ausstellungsort ist Teil eines Gesamtkunstwerkes, das Stephan Hasslinger nicht zufällig  „Bildlandschaft“ nennt.

Schließlich war es der raummalerische Impuls, der ihn kurzzeitig zur Stahlskulptur führte. Zwar ist das Gestische auch im keramischen Werk einem Rückzug auf die autarke Form gewichten, Im offenen Raum aber beginnen die so eigenständigen Figuren zu interagieren.

„ Der Boden und die Wand, der Raum in dem sie auftreten, werden zu Teilen des Werks. Im Raum, in dem sie sich auf den Betrachter, dessen Dimensionen und Proportionen beziehen, entwickeln sie ihr utopisches Potential von einer anderen, zwanglosen und sinnlichen Welt“[3]

 Bereits im Prozess ihrer Konzeption und Fertigung hat der Künstler diese spätere Gruppeninszenierung mit bedacht.  Wenn er seine Figuren entsprechend ihrer Größe, Form und Farbe in Beziehung setzt, verwandet sich der Tonbilder in den Choreographen. En groupe rücken seine kuriosen Kreationen unseren Sehgewohnheiten erst recht zuleibe, formen eine surreale Gegengesellschaft zum Vernissagenpublikum.

„Surreal“ – ein Begriff, der sich für Stefan Hasslingers Kunst

ganz unwillkürlich anbietet, denn ganz fraglos haben die oben beschriebenen Verfremdungsverfahren und  Strategien der Irritation und Selbstverblüffung ihre Wurzeln im Surrealismus. Insbesondere dem großen Experimentator Max Ernst fühlt sich Hasslinger wahlverwandt und auch das von den Surrealisten gefeierte Verfahren der „écriture automatique“ hat er  bereits mehrfach erprobt.

Eine Analogie zu seinen eigenen bildnerischen Strategien findet er im Mechanismus der Träume: „So wie ich mich auf den Surrealismus beziehe, finde ich in der Freudsche Traumdeutung eine ähnliche Verschlüsselungstechnik. Man träumt eine Figur, die die Merkmale mehrerer Personen in sich trägt. Das soll mir mit meinen Skulpturen gelingen, dass sie verschiedene inhaltliche und assoziative Aspekte in sich verdichten. Dass wir das im Traum alltäglich tun, finde ich, was die Sicherheit unserer Begriffe angeht, subversiv“

Sein prinzipielles Infragestellung des begrifflichen Instrumentariums, sein Montagespiel der Wirklichkeitsfragmente, die Fragmentierung und Vergrößerung des Ephemeren mit verhalten erotischer Konnotation – all dies verbindet sich seine Kunst ganz fraglos mit dem Selbstverständnis und der Wirklichkeitsauffassung der Surrealisten.

Einzig die exakte Planung und der konstruktive Part seiner Arbeit widersprechen dem (schon von den Protagonisten der Bewegung  häufig selbst unterlaufenen) Primat des psychischen Automatismus.

Mit dem Label des Post-Surrealisten kann Hasslinger jedenfalls gut leben, besser als mit dem des „Postmodernisten“. Dabei lässt sein Spiel mit historischen Stilzitaten, die Mehrfachcodierung seiner Objekte, nicht zuletzt auch seine Vorliebe für betont synthetische Farben auch diese Zuordnung nicht ganz unplausibel erscheinen.

Sicher gibt es auch einige Popart- Reminiszenzen, wenn auch der Warencharakter seiner Skulpturen hinter der Fetischisierung des Fremden zurücktritt.

Doch anstelle einer begrifflichen Verortung, die Hasslingers Objektkunst beinahe schon programmatisch widerstrebt, betrachten wir noch einmal exemplarisch das Spektrum seines Werks.

 

Strategien der Verdinglichung

 

Jeder Gestaltung in Ton geht ein manchmal auch fotografisch dokumentierter Prozess des Suchens und Findens voraus.

Vor dem Konstrukteur bewegt sich der Flaneur, der auf Trödelmärkten, in Warenlagern und  Textilgeschäften seinen Fundus an inneren Bildern auffüllt und dabei auch immer zahlreiche, oft kuriose Dinge mit ins Atelier bringt.

Solche „Souvenirs“, die auf dem Boden seines Ateliers verteilt, skurrile Ehen eingehen, breiten in Wechselbeziehung mit Fotos und selbstverfassten Texten,  mitunter das tagebuchartige Panorama einer ganzen Metropole aus.

Das betrifft vor allem jene Arbeiten, die 2008 im Rahmen des Cité de Paris- Stipendiums des Landes Baden-Württemberg entstanden. Bezüge zur Haute Couture finden sich in dieser Werkgruppe ebenso, wie Verweise auf den verblichenen  Belle Epoque- Glanz und die ebenso antiquierten Versprechungen des Place Pigalle.

Der Bezugsrahmen ist dabei von maximaler assoziativer Offenheit,     

In den Objets truvés kann sich ebenso gut aber auch ein spezifischer Aspekt der gesellschaftlichen Wirklichkeit konkretisieren, wie  bei der Werkserie, die Hasslinger nach einem Arbeitsaufenthalt in Brooklyn begann.

 Martialisch anmutendes Sportgerät hatte ihn damals angeregt: Baseballhandschuhe, Eishockeymaske, hartschalige Knieschoner –  Synonyme für ein kampfbereites Amerika?   Im Rahmen einer Assemblage nehmen sich diese Mitbringsel aus der US-Freizeitindustrie wie Relikte eines  ritterlichen Zeitalters aus. Das semantische Bezugssystem „Mannschaftssport “ erscheint in  ironischer Brechung als Austragungsort forcierten Dominanzgebarens und archaischer Männlichkeitsriten.

Seine jüngsten Objekte hat Hasslinger mit Polyurethan-Schaum                    

ausgespritzt, einem Isolierstoff, der, in Druckbehältern angebotenen, in kürzester Zeit erhärtet. Glatt geschliffen und bemalt, lassen sich die aufgeschäumten Teile von ihren meist textilen Hüllen kaum mehr unterscheiden, als seien mit ihnen untrennbar verwachsen.

Insbesondere in seiner Paris-Serie zeitigt dieses neue Amalgamierungsverfahren überraschende Effekte.

Auch in seinen Kunst-am-Bau-Projekten konnte Hasslinger seine Vorliebe für surrreale Konstellationen plastisch umsetzen. Für das Regierungspräsidium Freiburg hat er etwa eine Außenanlage mit Wasserbecken und einem Ensemble von vier überdimensionierten Regenschirmen konzipiert, welche die Erwartungen ans staatliche Sicherheitssystem nicht ohne ironisches Augenzwinkern versinnbildlicht. Schließlich liegen die Schirme selbst im Nassen, formen schützende Dächer – und öffnen sich für den Regen. Die bekannte Ambivalenz.  Typisch auch sein Verfahren der Materialtäuschung: Die Aluminiumskulpturen wirken wie überdimensionierte Keramik. In der Barockkirche des berühmten Deutschordensarchitekten Caspar Bagnato in Merdingen am Tuniberg  fährt er eine ganz ähnliche Strategie. Sein filigraner Altar, dessen wellenbewegtes Gitter dem bewegten Stuckdekor antwortet, wirkt wie lackierte Emaille, das Sakralmöbel ist jedoch tatsächlich aus poliertem Aluminiumguss.

„Kontra oder konform?“, fragt der Rezensent Volker Bauermeister im Blick auf das kirchliche Ambiente und gibt selbst die Antwort: „ Konform ja nur in bestimmtem Sinn, und jedenfalls nicht in dem eines ästhetischen Konformismus – einer historischen Mimikry. Und kontra? Nein, sicher nicht.“[4]

Aber was denn nun?

In der semantisch indifferenten Zwischenwelt behauptet sich Stephan Hasslingers Arbeit rundum überzeugend. Kein schlechtes Terrain für die Kunst, möchte man meinen, denn Erstarrung ist dort ausgeschlossen.

Ihr subversives Potential aber sollte man dennoch nicht unterschätzen.

 

 

                             

       

 

 

 

   

               

 

[1] Stephan Hasslinger im Interview mit Dorothea Strauss, in: „Dresscode“, Katalog SüdWestGalerie Niederalfingen, Edition SüdWest, Band 4, 2005

[2] Sabine Heilig: „Verschlingungen, Verstrickungen, Verwirrungen. Über Materialmitwirkung und Farbigkeit im Werk von Stephan Hasslinger“, a.a.O.S.14

[3] Christph Bauer in „Dresscode“ a.a.O. S.15

[4] Volker Bauermeister in „Maschenware“, a.a. O. S.56